Bruneck und der Dreißigjährige Krieg (1618−1648)

Abrech­nung des Bürg­er­meis­ters Bartlme Puel für das Amt­s­jahr 1636–37, Titel­blatt. Foto: Stadtarchiv Bru­neck.

Im Jahr 2018 wurde mehrerer his­torisch­er Ereignisse gedacht, die auf ein “8‑er” Datum fie­len (Ende des Ersten Weltkrieges, 100 Jahre Repub­lik Öster­re­ich, “Anschluss” Öster­re­ichs an das Deutsche Reich etc.). Auch der Beginn des Dreißigjähri­gen Krieges mit dem Prager Fen­ster­sturz im Jahr 1618 war ein The­ma. Auf den Raum des his­torischen Tirol wirk­te sich die Serie von Kriegen, die unter dem Begriff “Dreißigjähriger Krieg” zusam­menge­fasst wird, nur indi­rekt aus, und doch find­en sich auch im Bru­neck­er Stadtarchiv Spuren des “welth­is­torischen” Ereigniss­es.

Der Dreißigjährige Krieg bildet sich in den Abrech­nun­gen der Bru­neck­er Bürg­er­meis­ter, die für die Zeit zwis­chen 1532 und 1834 erhal­ten sind, durch Spenden an Bedürftige ab, die auf­grund der Plün­derun­gen und Brand­schatzun­gen der Sol­daten­heere ihre Herkun­ft­sorte ver­lassen mussten oder aber in Gefan­gen­schaft ger­at­en sind. Es ist also eine sehr aktuell erscheinende Geschichte von “dis­placed per­sons”, die sich hier nieder­schlägt.

Die Flüchti­gen, die oft hun­derte von Kilo­me­tern zurück­gelegt hat­ten und offen­bar auch durch das mit­tlere Puster­tal zogen, gehörten unter­schiedlichen sozialen Grup­pen an. In der Amt­srech­nung für die Jahre 1627/28 etwa find­et sich ein Ein­trag über ein Almosen für zwei aus dem Hochs­tift Ful­da geflüchtete Adelige:

“Adi 12 Jul­li zween vom Adl von Kaltenprun, auß dem Stüfft Ful­da, mit Namen Geörg Fridrich von Roten­puech, unnd Fridrich von Haag von Kaltenprun, so durch das Krüegs Vol­ckh abgepren­nt wor­den, Miteinan­nder geben 1 Gulden.”

Das Hochs­tift Ful­da war 1622 durch die Trup­pen des Her­zogs Chris­t­ian von Braun­schweig geplün­dert und gebrand­schatzt wor­den. In der Auf­stel­lung für das Amt­s­jahr 1628/29 sind eben­falls zwei Adelige erwäh­nt:

“Adi 3 Jul­ly dem Lud­wig Frid­erich von Stern­berg, Cos­man Ruedolph von Run­den­felß auf Rose­naw auß Hes­sen und Johann Ban­ick­hän von Tri­er, von Kriegswessen verderbten Adls Per­schon­nen”.

Einen Adeli­gen, der nicht nur am Besitz, son­dern auch am Kör­p­er Schaden erlit­ten hat­te, weist die Amt­srech­nung für 1630/31 aus:

“Den 20 dito ainem vom Adl auss Wesst­falln gnant Christoff Lud­wig, Deme von den Sol­dat­en sein Hauß und Hof ver­brunen und noch darzue sein lingge Han­ndt abge­haut wor­den: 20 Kreuzer.”

1631/32 tre­f­fen wir auf einen “Cärmelitän­er Minich von Cron­aw aus Märhern, denen das Closster von den Schwedis­chen ist abpren­nt wor­den”. Der Geistliche reiste mit “Kaiser­lichen fürgewis­nen Paten­ten”, einem Empfehlungss­chreiben, das ihm in Bru­neck 36 Kreuzer ein­brachte. Unter den Geflüchteten befan­den sich zahlre­iche Geistliche und bisweilen ganze Klosterge­mein­schaften, die ver­trieben wor­den waren und nun auf die Wohltätigkeit von Städten und Kom­munen angewiesen waren. So sind beispiel­sweise in der Amt­srech­nung von 1644/45 zwei Kloster­frauen aus Heg­g­bach in Schwaben erwäh­nt, “so zu Jrem verderbten Closter gesam­blt”, eben­so wie ein Augustin­er­mönch, “welch­er zu Jrem Abgepren­nten Closster gesam­blt”. Gemein­sam mit Stu­den­ten, Pil­gern, Sol­dat­en, Invali­den und Vagan­ten bevölk­erten sie die Straßen, auf denen in dieser unruhi­gen Zeit ein reges Treiben herrschte. Dies ver­wun­derte auch einen anony­men Kom­men­ta­tor, der im 19. Jahrhun­dert auf dem Titel­blatt der Bürg­er­meis­ter-Amt­srech­nung von 1648/49 notierte:

“Das Merk­würdig­ste in der Rech­nung ist das um diese Zeit eine Masse Sol­dat­en kranke und ver­wun­dete hier Durchge­zo­gen sind mit Weibern und Kinder eben­so Pil­gramme [Pil­ger, Anm.] ver­triebene Schul­meis­ter Adelige Mag­is­ter […]. Eben­so ver­triebene Mönche aus Ungarn Kärn­ten Oster­re­ich Steimark und Bay­ern sind hier mit Almosen beschenkt wor­den.”

Beispiele von Auszügen aus den Bürgermeister-Amtsrechnungen aus den 1630er- bis 1640er Jahren. Fotos: Stadtarchiv Bruneck

Es fällt tat­säch­lich auf, dass ab der Mitte der 1630er Jahre zahlre­iche, zum Teil auch ver­let­zte und ver­stüm­melte Sol­dat­en und “Sol­daten­weiber” mit Kindern in Bru­neck Almosen erhiel­ten. Sie zogen oft­mals von Schwaben aus durch die Lande: In Nördlin­gen war es im Sep­tem­ber 1634 zur großen Schlacht gekom­men, in der die protes­tantis­chen Schwe­den eine ver­heerende Nieder­lage erlit­ten. Ein “arme[r] Mann”, der “von den Schwödis­chen Sol­dat­en ist geschädigt wor­den”, fand 1636/37 “sambt seinem Weib unnd 4 Khin­dern” den Weg nach Tirol. Er führte ein kaiser­lich­es Patent mit sich, das ihn als hil­fs­bedürfti­gen Sol­dat­en auswies; der Bru­neck­er Stad­trat wies ihm 16 Kreuzer aus der Stadtkasse zu. Im sel­ben Jahr ist auch ein Schul­meis­ter aus der Oberp­falz erwäh­nt, der “Von den Schwödis­chen Sol­dat­en ver­triben wor­den”.

Bru­neck im 17. Jahrhun­dert. Kupfer­stich aus: Matthäus Mer­ian und Mar­tin Zeiller, “Topographia Provin­cia­rum Aus­tri­acarum”, Frank­furt am Main 1649–1710. Foto: Stadtarchiv Bru­neck

Die Zahl der durchziehen­den Sol­dat­en stieg in den fol­gen­den Jahren an, 1637/38 waren allein für ihre Verkös­ti­gung in den Bru­neck­er Wirtshäusern 49 Gulden und 58 Kreuzer zu bezahlen. Das Kriegsvolk kam in Rot­ten aus 15 bis 70 Mann mit Frauen und Kindern aus Süden, Nor­den und sog­ar aus Spanien und Frankre­ich. Die Sol­dat­en sucht­en um Quarti­er an, kon­nten aber nur mit Almosen­geld “abge­fer­tigt” wer­den.

Die andauernde Kriegssi­t­u­a­tion ver­schärfte sich noch dadurch, dass zahlre­iche Men­schen vor den Türken fliehen mussten. Auf der Amt­srech­nung von 1641/42 find­et sich der Ver­merk des bere­its erwäh­n­ten Kom­men­ta­tors: “Auch in dieser Rech­nung komt vor das eine Masse adeliche und andere Leute durchgereißt sind die von den Türken voll­ständig aus­ge­plün­dert wur­den um ihr Hab und Gut kom­men und sich theil­weise auch aus­lösen kon­nten laut Jhren Zeug­nis­sen mit 300–600 Dukat­en”. 1633/34 fand der zweite Pol­nis­che Türkenkrieg (“Osman­isch-pol­nis­ch­er Krieg”) statt und es ist möglich, dass die damit ver­bun­de­nen Ereignisse Flucht­be­we­gun­gen aus­lösten, die manche Ver­triebene bis nach Tirol führten. Neben diesen Flüchtlin­gen ent­stand eine zweite Gruppe von Hil­fs­bedürfti­gen, näm­lich jene der soge­nan­nten “Ranzion­ierten”, die nicht auf der Flucht waren, son­dern sich in Kriegs­ge­fan­gen­schaft befan­den und gegen ein Lösegeld los­gekauft wer­den kon­nten. Auch sie fan­den in den Bru­neck­er Bürg­er­meis­ter-Amt­srech­nun­gen häu­fi­gen Nieder­schlag: 1631/32 etwa sind “Zwen gefan­ngen” erwäh­nt, “deren Yed­er vom Tirggen per 4000 Taler geschätzt wor­den”. In der­sel­ben Quelle ist auch ein Adeliger erwäh­nt, “so vom Tirggen gefan­gen, Aber von ainem Khauff­man per 2000 Taler erkhaufft wor­den”.

Der Fluss an durchziehen­den Sol­dat­en mit ihren Frauen und Kindern und anderen Ver­triebe­nen ver­siegte nicht, wie man ver­muten kön­nte, mit dem West­fälis­chen Frieden im Jahr 1648, der das Ende des Dreißigjähri­gen Krieges markierte. Noch 1650/51 find­et sich in der Bru­neck­er Bürg­er­meis­ter-Amt­srech­nung der Ein­trag: “Mer von den 9 Biß Let­sten Octo­ber 25 Sol­dat­en und Weibern, sambt 11 Pil­gern so nach und nach under­schidlich Khomen, geben 1 Gulden 47 Kreuzer.” Erst um 1655 ließ der Ansturm an Hil­fs­bedürfti­gen nach, wen­ngle­ich sich noch in den Rech­nun­gen der 1660er Jahre vere­inzelt Hin­weise auf wan­dernde, ver­armte und zum Teil kör­per­lich versehrte Sol­dat­en mit ihren Fam­i­lien find­en, die auf die Wohltätigkeit der Bru­neck­er Stadt­ge­mein­schaft hofften.

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