Bruneck im Jahr 1852: Ein anonymer Reisebericht

Die Stadt­gasse in Bru­neck. Postkarte, um 1910.

In der in Inns­bruck erscheinen­den Zeitschrift Der Phönix wurde 1853 der Bericht über eine Reise von Sch­abs bis Bru­neck mit dem Titel Aus Pusterthal abge­druckt.[1] Der Autor, dessen Name nicht genan­nt ist, schilderte darin seine Ein­drücke der „kleine[n] Stadt“ Bru­neck mit „krum­men Gassen […], worin eine so fried­fer­tige Ruhe herrscht, die selt­sam absticht von der hasti­gen Geschäftigkeit großstädtis­chen Treibens.“ Die Häuser erschienen ihm „noch wun­der­lich gebaut“, die Hau­s­tore „züchtig ver­schlossen“, statt der „gle­ichgilti­gen Rolet­ten“ (= Rol­los) gäbe es noch grüne und sil­ber­far­bene Jalousien, hin­ter denen man ver­stohlen die Stadt­gasse beobacht­en könne. Der Reisende freute sich über die Fre­undlichkeit der Ein­heimis­chen: „Man wird mit fre­undlich­er Neugierde gegrüßt, als wäre man ein alter Bekan­nter, kurz, in so einem Oertchen – und Bru­neck ist so ein kleines, stilles, heimis­ches Oertchen, – da ist alles viel gemüth­lich­er, als in den großen Städten“.

Der Besuch­er schlen­derte gelassen durch die Stadt­gasse und blick­te an den roten, grü­nen und „choco­lade­farb­nen“ Häusern empor: „Wobei ich freilich nicht hoch zu schauen brauchte, denn in ganz Bru­neck ist nur Ein Haus, das drei Stock­w­erke zählt“. Die Stadt erschien ihm recht men­schen­leer, was er sich damit erk­lärte, dass die Damen „wahrschein­lich alle am Kaf­feetis­che“ saßen. Auf der Gasse lärmten nur einige Dutzend Buben, „die sich gemüth­lich herum­bal­gten, und ein ehrsamer Mül­ler­gaul stand gesenk­ten Hauptes vor einem Bäck­er­laden und zer­stampfte mit schmer­zlich­er Ungeduld die Über­reste eines ohne­hin arg mitgenomme­nen Trot­toirs.“

Das kul­turelle Ange­bot der Stadt kon­nte den Autor kaum begeis­tern: „Bru­neck hat wenig Sehenswertes, die Gemälde­samm­lun­gen der Her­ren v. Vintler und Greb­mer sind so ziem­lich Alles, was dem Inter­esse kun­stlieben­der Frem­den mit Fre­undlichkeit geboten wird.“ Dafür erblick­te er ein Mäd­chen, das ihn verza­uberte und ger­adezu hyp­no­tisierte, auch wenn es ihm „lange nicht so schön“ erschien wie eine Darstel­lung der heili­gen Katha­ri­na aus der Hand des Malers Franz Hell­weger. Erst als ihn ein vor­beifahren­der Wagen mit Wass­er bespritzte, wurde er in die Real­ität zurück­ge­holt: „Der Wagen, dem ich dieß ver­danke, führte unge­heure Gran­it­blöcke zu dem Bau der neuen Pfar­rkirche, die sich […] in bizan­ti­nis­chem Style erhebt. Der Bau ist so übel nicht, […] aber er sieht doch bedeu­tend plump und unbe­hülflich aus, und ich glaube kaum, daß die Auss­chmück­un­gen, die noch ange­bracht wer­den sollen, diesen Ein­druck ganz zu beseit­i­gen im Stande seien.“

Die Spitalkirche. Postkarte, gelaufen 1916.

Nach diesem Urteil sah der Autor den Zeit­punkt gekom­men, seine schlechte Laune zu erk­lären: Ver­schiedenes würde ihn stören, etwa der „naseweise[n] Thurm der Spitalkirche, der kaum über das Dach hin­aus­ragt und doch mit seinem unlackirten blech­er­nen Kopfe einem schi­er die Augen aus­blendet“. Über den Post­meis­ter, der seine Altane (= Söller, Balkon auf Stützen) ohne Gelän­der lasse, ärg­erte er sich eben­so wie über die Unrein­lichkeit der Wege, „als ich noch zu rechter Zeit auf dem ‚Graben‘, dem Prom­e­nade­platz der Städter, unter hohen Pap­peln zier­lich geputzte Damen mit sor­glos­er Sicher­heit zwis­chen den heimkehren­den Viehheer­den und deren unanständi­gen Pro­duk­ten bal­ançiren sah“.

Abschließend beschwörte der Tourist eine bessere Zeit für die Stadt am Anfang des 19. Jahrhun­derts her­auf, als die Casino­gesellschaft mit ihrer Liedertafel und einem The­ater in voller Blüte ges­tanden hat­te. Jet­zt aber sei alles anders gewor­den: „Zwar veg­e­tirt das Casi­no fort, an einem ver­rosteten Nagel hängt sog­ar noch das Pro­gramm eines Conz­ertes“, aber es fehle die „heit­ere Natür­lichkeit“, die „gegen­seit­ige Fre­undlichkeit und Gemüth­lichkeit früher­er Tage.“  Die Damen wür­den sich lieber bei ihren „Kaf­feeparthien“ amüsieren, die Her­ren träfen sich abends um sechs Uhr im Bräuhaus und später in einem der „drei vorzüglichen Gasthäuser“. In einem der­ar­ti­gen Wirtshaus fand der Autor eine „ziem­lich zahlre­iche, aber eben­so ein­syl­bige Gesellschaft“ vor, die Tarock oder Schach spielte und sich Jagdgeschicht­en erzählte. Danach ging er zu Bett und riet den Lesern, die nicht schon längst eingeschlafen waren, das­selbe zu tun.

Damit endet der Bericht des unbekan­nten Reisenden über seine Erleb­nisse in Bru­neck. Die Redak­tion des Phönix sah sich verpflichtet, kor­rigierend einzu­greifen, und hängte dem Text eine Fußnote als Ehren­ret­tung für das Bru­neck­er Kul­turleben an: „Die gegen­wär­ti­gen Berichte laut­en anders: The­ater, Pro­duk­tio­nen, Glück­stöpfe drän­gen sich im bun­ten Durcheinan­der, mit einem Worte: der Bru­neck­er Him­mel hängt wieder voll Geigen: ein Wech­sel der Dinge, der freilich vor fünf Monat­en außer aller men­schlichen Berech­nung lag.“

Der Text im Phönix erschien dem Her­aus­ge­ber des Pusterthaler Boten, Johann Georg Mahl (1823–1901), als inter­es­sant genug, in sein­er Zeitung Auszüge daraus zu druck­en.[2] Mahl beze­ich­nete den Text als „sehr humoris­tis­che satyrische Reisebeschrei­bung“ und stellte somit die Absicht des Autors in Frage, ern­sthafte Kri­tik an der Bru­neck­er Stadtver­wal­tung zu üben. Den­noch schrieb er viel­sagend an das Ende des ersten, am 14. Jän­ner 1853 veröf­fentlicht­en Text­teiles: „Wir wollen aber den Schluß auf die näch­ste Nr. sparen, weil wir glauben auf eine Woche lang genug zu haben.“

Die Hin­ter­gasse. Postkarte, gelaufen 1915.

Der zweite Teil erschien tat­säch­lich eine Woche später im Pusterthaler Boten und Mahl nützte diese Veröf­fentlichung, um seine eigene Mei­n­ung über den Text kundzugeben, die dur­chaus auch selb­stkri­tis­che Töne enthält: „So müssen wir geste­hen, der Fremde war in sein­er Kri­tik nicht gar zu streng. […] Sind wir froh, daß er die Hin­ter­gasse, die Wirr hin­ter den Mark­t­stän­den nicht ent­dek­te; nicht die Brun­nen musterte, das Ihm eine Ste­in­fuhr begeg­nete, statt ein­er — (was sich bei uns auch am Tage ereignen kann)“. Hier ist wohl das Wort „Mist­fuhre“ aus­ges­part. Mahl fährt fort: „Auf dem Graben war er sich­er so im Anschauen unser­er Damen­welt beza­ubert, daß er die abge­dor­rten Storken und die Zahn­lück­en der Pap­pelallee nicht beachtete, denn son­st würde er gewiß auch davon gesprochen haben. Es ist wahr, der mit weißem Bleche gedeck­te Spi­tal Thurm kön­nte angestrichen sein, und wäre denn vielle­icht auch dauer­hafter; das Trot­toir kön­nte hie und da aus­gebessert wer­den, und die Verklei­dung der Häuser mit zu grellen Far­ben sehr leicht nicht ges­tat­tet sein; auch der Hr. Post­meis­ter kön­nte seine Altana ein­mal her­stellen lassen, und das von der Wei­de heimkehrende Vieh kön­nte wohl auf der Strasse gehen, aber, mein Gott! Wer sollte das Alles anord­nen und überwachen!“ Bei den Kaf­feekränzchen, so habe er, Mahl, selb­st gehört, werde nie­mand im Klatsch „wie man sagt, durchge­zo­gen“, son­dern man unter­halte sich über die Neuigkeit­en der Stadt nur zum „Vortheile der Hauswirtschaft“ – „Wie man doch den Damen oft unrecht thut!“.

Hin­sichtlich der Gesel­ligkeit merk­te Mahl an: „In Bru­neck war stets ein gemüth­lich­es har­monis­ches Leben“. Als Beispiel kehrte er die Bolzschützenge­sellschaft her­vor, die sich in der neuen Post regelmäßig beim gemütlichen heit­eren „Fein­sein beianon­derbleimm“ tre­ffe. Dem „schalkhaften Touris­ten“ jeden­falls richtete der Buch­druck­er und Ver­leger abschließend „einen fre­undlichen Gruß“ aus.


[1] Anonym, Aus Pusterthal, in: Der Phönix. Zeitschrift für Lit­er­atur, Kun­st, Geschichte, Vater­land­skunde und Wis­senschaft, IV. Jahrgang (1853), Nr. 1, S. 2f.; Nr. 2, S. 10f.

[2] Aus Pusterthal, in: Pusterthaler Bote, 14. Jän­ner 1853, S. 6f.; 21. Jän­ner 1853, S. 19f.

Bild­nach­weis: Stadtarchiv Bru­neck, Samm­lung Weis­stein­er, B1807, B1824, B1844.

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