Mühlgasse Nr. 4: Hannesmühle

 

Geschichte | storia:

Tschurtschenthaler, Heimatbuch, S. 34: Hs. Nr. 16 (alt 140): Johannesmühle; Pfarrkirche Brunico; 1787: Johannes Mayr bezw. Erben: Müllerbehausung mit 4 Gängen samt Futterhaus, Stampf und Säge; 1822: Franz Mayr. Diese haben auch dabei Gerberstampf und Wagenhütte. 1700: Stefan Mayr, Müller; 1643: Kassian Saumüller, Müller. Schon in der Urkunde, in welcher die edle Suanahild ihren Besitz in Ragen an das Domkapitel vertauscht (995-1005) wird ein Müller in Ragen erwähnt. Am Hause ein hübsches Fresko um 1520 in Art der Schule Altorfer (Altdorfer, Anm.); eine kleine Sau deutet noch auf den alten Namen: "Saumüller".

Bemerkungen | annotazioni:

Die Hannesmühle in der Mühlgasse ist eines der ältesten Häuser der Stadt Bruneck. Sie wurde später um einen Gerberstampf und um eine Säge erweitert, im Mittelalter war sie ein görzisches Lehen. Das Gebäude muss zu Beginn des 16. Jahrhunderts in etwa die heutige Form erhalten haben. Zwei Fresken schmücken die Nordwand, das linke stellt eine Madonna mit Kind unter einem spätgotischen Kielbogen dar (um 1515).

Beim rechten und größeren Fresko handelt es sich um eine Darstellungsform, die in der Kunstgeschichte als „Lebendes Kreuz“ bezeichnet wird: Zu sehen sind Ecclesia und Synagoge in der Gestalt zweier Frauen, also die Sinnbilder für das Christentum und das Judentum, wobei das Christentum, der neue Bund, über das geschlagene Judentum, den alten Bund, dominiert. Die auf einem Maultier reitende Synagoge hält eine zerbrochene Fahne in der Hand, eine Krone scheint ihr vom Kopf zu fallen. Über den Augen trägt sie eine Binde, als Illustration für die Blindheit des Judentums gegenüber Jesus von Nazareth als dem Messias. Ecclesia hingegen sitzt auf den Symbolen der vier Evangelisten. In der Linken hält sie einen Kelch, der das Blut Christi auffängt, in der Rechten eine Fahne, über ihrem Kopf ist eine Krone zu sehen, die ihr von einer Hand des "Lebenden Kreuzes" aufgesetzt wird. Dargestellt sind weiters die nackte Eva mit dem Apfel und Maria als Schutzmantelmadonna mit dem neben ihr knienden Papst. Über dem Ganzen schwebt Gottvater zwischen Engeln über einer Pforte zum Paradies samt Schlüssel, im unteren Register ist das Tor zur Vorhölle, dem Limbus, zu sehen, das von drei Engeln mit einer Lanze aufgestoßten wird.

Die Hauptszene wird laut Josef Weingartner (1885-1957) von den heiligen Florian, Georg, Johannes und Bartholomäus flankiert. Das durchgehende Schriftband am unteren Rand des Freskos ist nicht mehr lesbar.

Weingartner schreibt das um 1520 entstandene Fresko mit einem Fragezeichen dem Meister von St. Sigmund bzw. der Donauschule zu. Die Stelle für das Fresko war gut gewählt: Wer über die alte Rienzbrücke, den „Totensteig“, in die Stadt kam, wurde gleich mit Katechismus, Predigt und Christenlehre konfrontiert. Auch die Nähe zur Unser-Lieben-Frauen-Kirche und dem Widum mag hier eine Rolle gespielt haben.

Literatur | bibliografia:

  • Nina Schröder, Bruneck kompakt. Die Stadt auf einen Blick. Sehenswertes, Gastlichkeit, Kultur, Wien/Bozen 2003.
  • Hubert Stemberger, Bruneck und Umgebung (Südtiroler Gebietsführer 7), Bozen 1988.
  • Paul Tschurtschenthaler, Brunecker Heimatbuch, Bozen 1928.
  • Josef Weingartner, Die Kunstdenkmäler Südtirols Band 1: Eisacktal, Pustertal, Ladinien, Bozen/Innsbruck/Wien 7. Aufl. 1985, 523.

Speziell zur Ikonographie:

  • G[eorg] Tinkhauser, Mittheilungen über Denkmale der mittelalterlichen Kunst im Pusterthale in Tyrol, in: Mittheilungen der k.k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 13. Jg. (1868), Wien, XXVI-XXVIII.
  • Claudia Blümle, Das lebende Kreuz. Eine Bildgattung an der Schwelle von Souveränität und Imaginärem, in: Heiden, Anne von der (Hg.), Per imaginem: Bildlichkeit und Souveränität, Zürich 2005, 45-57. Externer Link zur pdf-Datei.
  • Paul Thoby, Le crucifix des origines au Concile de Trente: étude iconographique. [Hauptband], Nantes 1959, 223.
  • Bastianino: Das Lebende Kreuz von Ferrara. Die Restaurierung eines vergessenen Altarbildes: externer Link
  • Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin / Humboldt-Universität zu Berlin (Hg.), Bastianino: Das Lebende Kreuz von Ferrara. Die Restaurierung eines vergessenen Altarbildes aus dem 16. Jahrhundert, Katalog zur Ausstellung vom 12. November 2020 bis 14. März 2021 in der Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 2020.