Erster Südtiroler Archivtag in Bruneck – ein Resümee

Abbil­dung 1. Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he Nr. 162. Foto: Alessan­dro Cam­pan­er / Südtirol­er Lan­desarchiv 2023.

Im Jahr 1478 kam es zu einem Stre­it­fall in Bru­neck, als die vier Bäck­er in der Stadt das Brot nicht nach den in der Stad­tord­nung vorgegebe­nen Regeln back­en woll­ten und sich wohl auch beim Verkauf nicht an die gülti­gen Geset­ze hiel­ten. Aus diesem Grund wurde den Bäck­ern durch den in Bru­neck wal­tenden Haupt­mann des Brixn­er Fürst­bischofs, Balthasar von Wels­berg, ihr Gewerbe ver­boten. Um die Erlaub­nis zur Ausübung ihres Berufes wiederzuer­lan­gen und diesen kleinen Eklat aus der Welt zu schaf­fen, mussten die Handw­erk­er schriftlich ver­sich­ern, sich wieder an die Regeln zu hal­ten. Dieser Akt des Eingeständ­niss­es von Fehlern wurde mit der Ausstel­lung ein­er Urkunde vol­l­zo­gen, die heute Teil der Urkun­den­rei­he im Stadtarchiv ist (Abbil­dung 1). Es han­delt sich um eine Siegelurkunde auf Perga­ment in deutsch­er Sprache, wie sie aus dem Spät­mit­te­lal­ter in großer Zahl über­liefert sind.

Dieses Doku­ment bildete als Num­mer eins (von zehn) den Auf­takt der Ausstel­lung „Zehn Jahre – zehn Objek­te – viele Geschicht­en / Dieci anni – dieci doc­u­men­ti – molte tes­ti­mo­ni­anze“, die im Juni 2023 im Ragen­haus in Bru­neck zu sehen war und den Rah­men für den ersten Südtirol­er Archiv­tag bildete, der im sel­ben Gebäude, dem his­torischen Ansitz Ragen, stat­tfand. Das am 8. und 9. Juni auf Ein­ladung des Südtirol­er Lan­desarchivs und des Stadtarchivs Bru­neck durchge­führte Sym­po­sion war in dieser Form eine Pre­miere. Der Südtirol­er Archiv­tag war ins Leben gerufen wor­den, um über Geschichte, Gegen­wart und Zukun­ft des lokalen und regionalen Archivwe­sens zu disku­tieren und dessen Entwick­lun­gen mit anderen Regio­nen im In- und Aus­land zu ver­gle­ichen.

Für die Ver­anstal­tung gab es einen konkreten Anlass: Seit 2008 wird am 9. Juni der Inter­na­tionale Tag der Archive („Inter­na­tion­al Archives Day“) began­gen. Die Ini­tia­tive dazu geht auf die Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tion „Inter­na­tion­al Coun­cil on Archives“ (ICA) zurück, die damit Bezug auf das Datum ihrer eige­nen, am 9. Juni 1948 unter der Schirmherrschaft der Unesco erfol­gten Grün­dung nimmt.

Der konkrete Grund für die Entschei­dung, den Archiv­tag in Bru­neck abzuhal­ten, war das zehn­jährige Beste­hen des Stadtarchivs Bru­neck, das im Jahr 2013 als Insti­tu­tion aus der Taufe gehoben wurde, im Wesentlichen aber die Pro­gram­matik der bere­its länger beste­hen­den Ini­tia­tive „Archiv Bru­neck / Archiv­io Bruni­co“ weit­er­führt. Neu war 2013, dass die Stadt­ge­meinde einen haup­tamtlichen Archivar ein­stellte und das Archiv gemein­sam mit der Stadt­bib­lio­thek und der Uni­ver­sitäts­bib­lio­thek im Gebäude „Lib­ri­Ka“, das heuer eben­falls sein zehn­jähriges Beste­hen feiert, geeignete Räume für Büro und Depot erhielt. Das damit insti­tu­tion­al­isierte und verortete Stadtarchiv sah sich von Anfang an verpflichtet, sich best­möglich der Ver­wahrung, Erschließung, Erforschung und Ver­mit­tlung lokaler Geschicht­szeug­nisse zu wid­men.

Zudem war ein weit­eres kleines Jubiläum zu feiern: Vor fünf Jahren, 2018, kon­nte der ältere Teil des Stadtarchivs, der wie andere kom­mu­nale Bestände aus Südtirol als Deposi­tum zunächst im Staat­sarchiv Bozen und nach dessen Errich­tung im Südtirol­er Lan­desarchiv ver­wahrt wor­den war, nach Bru­neck gebracht wer­den, wo er nun­mehr für eine genauere Verze­ich­nung und Analyse wie auch die Forschung am Ort sein­er Entste­hung zur Ver­fü­gung ste­ht.

Der erste Südtirol­er Archiv­tag wurde am Abend des 8. Juni feier­lich eröffnet. Zugle­ich fand die Vernissage der erwäh­n­ten Ausstel­lung „Zehn Jahre – zehn Objek­te – viele Geschicht­en / Dieci anni – dieci doc­u­men­ti – molte tes­ti­mo­ni­anze“ statt. Sie sollte mit­tels elf Ausstel­lungstafeln und zweier Vit­ri­nen einen Ein­blick in Bestände und Tätigkeits­felder des Stadtarchivs geben, wobei zehn Objek­te aus unter­schiedlichen Epochen ver­schiedene Quel­len­gat­tun­gen repräsen­tierten und als Leit­faden dien­ten. Sie standen stel­lvertre­tend für die his­torische Über­liefer­ung, die über die Geschichte der Stadt­ge­meinde Bru­neck Auskun­ft gibt.

Die oben erwäh­nte Urkunde von 1478, die eine Geschichte aus dem späten Mit­te­lal­ter, der Zeit der Stadt­grün­dung und des Beginns der schriftlichen Über­liefer­ung aus und über die Stadt erzählt, ver­trat dabei die mit dem Jahr 1319 ein­set­zende Urkun­den­rei­he und somit die ältesten Bestände des Stadtarchivs. Das jüng­ste „Objekt“ in der Ausstel­lung war hinge­gen eine Ansicht­skarte aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhun­dert, die eine Szene in der Bru­neck­er Stadt­gasse zeigt und Fra­gen der Insze­nierung von „All­t­ag“, nach Geschlechter­rollen sowie nach der Bedeu­tung unter­schiedlich­er Medi­en für die Ver­mit­tlung von Botschaften – in diesem Fall von Wer­bung – stellen lässt. Zwis­chen den Tafeln eins und zehn fan­den sich „Objek­te“ aus unter­schiedlichen Epochen eben­so wie unter­schiedlichen Charak­ters und nicht zulet­zt unter­schiedlich­er Prove­nienz. Das Stadtarchiv ver­wahrt heute näm­lich nicht mehr nur Zeug­nisse städtis­ch­er und gemeindlich­er Ver­wal­tung auf Perga­ment, Papi­er und dig­i­tal­en Daten­trägern, son­dern ist auch zu einem Ort des Sam­melns gewor­den, was nicht zulet­zt auch diese Ansicht­skarte mit der auf ihr repro­duzierten his­torischen Fotografie anschaulich zeigt (Abbil­dung 2).

Abbil­dung 2. Stadtarchiv Bru­neck, Samm­lung Weis­sten­er, B 1821. © Stadtarchiv Bru­neck.

Die fun­da­men­tale Auf­gabe des Bewahrens, die Archive mit Bib­lio­theken und Museen gemein­sam haben, war ein The­ma, das sich durch alle Vorträge des zweit­en Tages des Sym­po­sions zog. Am Fre­itag, dem 9. Juni, wur­den Gemein­samkeit­en und Unter­schiede in der Entwick­lung und den aktuellen Her­aus­forderun­gen der Archiv­land­schaften von Tirol, Südtirol und dem Trenti­no sowie in benach­barten Regio­nen erörtert und disku­tiert.

Die Ausstel­lung „Zehn Jahre – zehn Objek­te – viele Geschicht­en / Dieci anni – dieci doc­u­men­ti – molte tes­ti­mo­ni­anze“ war nach ihrer Erst­präsen­ta­tion im Ragen­haus den Som­mer über in der Bru­neck­er „Lib­ri­Ka“ zu sehen, wo sie weit­er­hin Gele­gen­heit bot, Ein­blicke in Bestände und Arbeit des Stadtarchivs zu nehmen. Im kom­menden Jahr wird sie voraus­sichtlich ein weit­eres Mal gezeigt, dann im Bru­neck­er Rathaus. Der Zeitrah­men wird auf dieser Web­seite rechtzeit­ig veröf­fentlicht wer­den.



Dieser Text erschien zuerst aus­führlich­er in: Tirol­er Chro­nist Nr. 168/2023, S. 57–59.

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