Die Chronik der Betschwestern

In Bru­neck gab es im späten Mit­te­lal­ter eine Gruppe von Frauen, die in einem Haus im ‚Ober­dorf‘ (Ober­ra­gen) lebten. Mehrere Doku­mente im Stadtarchiv geben Auskun­ft über diese Betschwest­ern. Karl Franz Zani stellte in einem Beitrag in der Kul­turzeitschrift Der Schlern 1980 die Frage, ob im Puster­tal Tirols ältestes Begi­nen­haus behei­matet gewe­sen sei.[1]

Begine. Holzschnitt aus: „Des dodes dantz“, gedruckt in Lübeck 1489. Quelle: Wiki­me­dia Com­mons. CC BY-SA 3.0

Begi­nen und Begut­ten waren in Flan­dern, den Nieder­lan­den, am Rhein, in Deutsch­land und in Frankre­ich beson­ders stark ver­bre­it­et und wid­me­ten sich der Fröm­migkeit und dem kar­i­ta­tiv­en Han­deln, vor allem aber dem Gebet und der Krankenpflege.

Im Jahr 1502 erließ der Brixn­er Bischof Mel­chior von Meck­au (1488−1509) eine Regel für das Bru­neck­er Haus, aus der wir weit­ere Infor­ma­tio­nen über das Funk­tion­ieren der kleinen lokalen Gemein­schaft erhal­ten. Auch die Bru­neck­er Betschwest­ern lebten dem­nach von Almosen from­mer Men­schen und dem Ent­gelt, das sie für ihr Gebet erhiel­ten. Bet­teln war ihnen erlaubt. Es gab kein per­sön­lich­es Eigen­tum, alles gehörte der Gemein­schaft. Das Gemein­schafts­ge­bäude war Außen­ste­hen­den nicht zugänglich.[2]

Die Bru­neck­er Gemein­schaft der Betschwest­ern scheint erst­mals in ein­er Urkunde vom 25. Jän­ner 1430 auf, als die fromme Schwest­er Chris­tein die Jueklin auf dem Kranken­bett dem Schwest­ern­haus im Ober­dorf in Bru­neck ihre Güter bei Nieder­dorf und bei Wels­berg „zu hilf und zu stewr daz si ir narung dester paz gehaben mügen“ übertrug.[3] Die Stiftung sollte auch der Erbau­ung eines Haus­es für die Gruppe zugute kom­men. 1431 lebten mehr als drei Frauen im Schwest­ern­haus (auch Bethaus genan­nt), dessen genaue Lage in ein­er Urkunde von 1445 beschrieben ist: Ein Garten sei

„gele­gen zu Brawn­negk zu nächst pey dem pett haus daz man nent der pett swest­er haus und stost vorn an den gemain wegk und zu der ain seyten dar an des Lien­hart Reczn­ers garten und hin­ten dar an der pett swest­er garten.“[4]

Jed­er Begi­nen-Gemein­schaft stand eine Oberin oder Mut­ter vor, die wohl zugle­ich die älteste der Schwest­ern war. Der Kirche war daran gele­gen, dass die Grup­pen die Regel des Drit­ten Ordens der Franziskan­er oder der Dominikan­er oder aber die Augustin­erregel beobachteten.[5] 1469 wurde die Bru­neck­er Oberin Mar­gret Scher­ler im Klaris­senkloster in Brix­en in den Drit­ten Orden aufgenom­men. Unter ihrer Führung des Schwest­ern­haus­es wurde die Garten­fläche ver­größert sowie die Haus­mauer, Türen und Fen­ster verbessert.

Im Stadtarchiv ist ein Frag­ment aus der Zeit um 1470 über­liefert, das als Auszug ein­er Chronik der Bru­neck­er Betschwest­ern gel­ten kann. Schwest­er Else im Freythof macht darin Aus­sagen über Auf­gaben und Rechte des Schwest­ern­haus­es und weist auf die Ursprünge der Gemein­schaft in Straßburg sowie einen Priester namens Lud­wig hin, der die Gruppe in Bru­neck aus­ges­tat­tet habe. Erwäh­nt sind namentlich die Schwest­ern Anna, Mag­dale­na und Dorothea, die zu Mar­gret und Dymut, die bere­its im Haus ansäs­sig waren, dazugekom­men seien.[6]

Ver­mut­lich han­delt es sich bei dem Doku­ment um eine Abschrift. Darauf würde etwa das abschließende „etc.“ hin­deuten, das nahelegt, dass der ursprüngliche Text noch aus­führlich­er gewe­sen ist. Es ist aber auch möglich, dass der vor­liegende Bericht von Schwest­er Else selb­st im Bru­neck­er Bethaus abge­fasst wurde; in diesem Fall wäre er ein bemerkenswertes Zeug­nis früher Schriftlichkeit ein­er Frau.

Jeden­falls ist die Chronik eine wertvolle Quelle über das Schick­sal der kleinen Frauenge­mein­schaft in Bru­neck. Wir erfahren daraus etwa, dass das Betschwest­ern­haus „auf der Pewnt im Ober(e)ndorf“ genan­nt wurde. Johann Nepo­muk Tin­khauser, der Bru­neck­er Gold­schmied, Samm­ler und Geschichtss­chreiber, verortet die Peunte im Haus Nr. 6 (heute Paul-von-Stern­bach-Straße Nr. 8).[7]

Die Bru­neck­er Gemein­schaft der Betschwest­ern fand am Anfang des 16. Jahrhun­derts ihr Ende. In den Quellen des Stadtarchivs scheint sie 1502 in Zusam­men­hang mit der erwäh­n­ten Regel des Bischofs Mel­chior von Meck­au ein let­ztes Mal auf. Tin­khauser datiert die „let­zte Spur ihres Fortbe­standes“ mit dem Jahr 1519, ohne aber einen Beleg dafür zu nen­nen.[8]

Unklar ist die Über­liefer­ungs­geschichte der Chronik, das Blatt weist kein­er­lei Kan­zlei- oder Archivver­merke auf. Es fehlt auch jede Beglaubi­gung und Datierung. Das Blatt (32,0 : 18,0−18,3 cm) wurde ein­er frühen Restau­rierung unter­zo­gen und dabei auf Träger­pa­pi­er aufgek­lebt. Es gehört dem Miszel­lenbe­stand an, der einen bedeu­ten­den Teil der älteren Bestände des Bru­neck­er Stadtarchivs umfasst und aus unter­schiedlichen, heute kaum mehr zu rekon­stru­ieren­den Prove­nien­zen stammt.


Anmerkun­gen

[1] Karl Franz Zani, Tirols ältestes Begi­nen­haus im Puster­tal?, in: Der Schlern, 54. Jg. (1980), S. 593–597.
[2] Ebd., S. 596–597.
[3] Ebd., S. 593.
[4] Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he Nr. 88, 25. Jän­ner 1430.
[5] Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he Nr. 98, 15. Juni 1445.
[6] Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he Nr. 63a.
[7] Hubert Stem­berg­er (Bearb.), J.N. Tinkhauser’s Bru­neck­er Chronik 1834. “Geschichtliche Nachricht­en von der k.k. Kreis­stadt Bru­neck und der­sel­ben Umge­bung”. Mit 147 Fak­sim­i­le-Farb­druck­en nach den Vor­la­gen des Ver­fassers, Bozen 1981, S. 76.
[8] Ebd.


Lit­er­atur

  • Karl Franz Zani, Tirols ältestes Begi­nen­haus im Puster­tal?, in: Der Schlern, 54. Jg. (1980), S. 593–597.
  • Siglinde Clemen­ti (Hg.), Frauen­bi­ogra­phien und Straßen­na­men. Leit­faden zur Benen­nung von Straßen und Plätzen in Südtirol, Bozen 2023, S. 206.
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