“Kinematograph und Graphophon”: Die Anfänge des Kinos in Bruneck von Andreas Oberhofer

Wer­beanzeige im Puster­taler Boten vom 24. Okto­ber 1919, S. 32. Foto: digital.tessmann.it.

Die Geschichte des Kinos in Südtirol ist erst in Ansätzen erforscht. Ger­ade in Bezug auf Bru­neck und das Puster­tal wäre noch vieles aus der Pio­nierzeit der bewegten Bilder zu unter­suchen und zu erzählen. Dieser Artikel soll ein kurz­er Ein­blick und Ans­porn zum Weit­er­forschen sein. Anhand ein­er Auswer­tung der lokalen Zeitung Pustert(h)aler Bote, die in Bru­neck zuerst von Johann Georg Mahl und danach von seinem Sohn Her­mann Mahl her­aus­gegeben wurde und wöchentlich erschien, wer­den die Anfänge kine­matographis­ch­er Vorstel­lun­gen in Bru­neck von 1898 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges kur­sorisch nachgeze­ich­net.

Die ersten Filmvor­führun­gen im his­torischen Tirol wur­den nicht in fix­en Kinos, son­dern in Bürg­er­sälen und Hotels organ­isiert. So fand etwa eine Vor­führung im Hotel Greif in Bozen am 21. Novem­ber 1896 statt. In Brix­en gab es im Dezem­ber 1897 Filmvor­führun­gen im Hotel Gold­en­er Adler.[1]

In Bru­neck kamen im Dezem­ber 1898 erst­mals mobile “Kine­matographen” zum Ein­satz, wie die Aus­gabe der Zeitung Pusterthaler Bote vom 16. Dezem­ber 1898 über Vor­führun­gen im „Brauhause des Her­rn Stem­berg­er“ in der unteren Stadt­gasse berichtet:

„Kine­mato­graph und Graphophon oder die lebende und sprechende Pho­togra­phie ist heute hier eingetrof­fen und wird […] Don­ner­stag und Fre­itag um 6 und 8 Uhr zwei Vorstel­lun­gen geben. Die Edis­ons [sic!] neu verbesserten Appa­rate erfreuen sich ein­er großen Beliebtheit und da die neu verbesserten nicht mit den gewöhn­lichen zu ver­wech­seln sind, kann der Besuch Jed­er­mann bestens emp­fohlen wer­den.“[2]

Bemerkenswert ist, dass in dieser Frühzeit des Kinos noch nicht von Film, son­dern von “lebende[r] und sprechende[r] Pho­togra­phie” die Rede ist. Der Kine­mato­graph an sich war 1898 noch eine junge Erfind­ung. Nur drei Jahre vorher, im Feb­ru­ar 1895, hat­ten die Brüder August und Louis Lumière einen „Appareil ser­vant à l’ob­ten­tion et à la vision des épreuves chrono-pho­tographiques“ in Frankre­ich zum Patent angemeldet.[3]

Wer­be­plakat des “Stadt-Kino” in Bru­neck, Dezem­ber 1914. Stadtarchiv Bru­neck, Nach­lass Hubert Stem­berg­er, Mappe 101.

Die frühe Ein­ladung zur Vor­führung von Bild und Ton im Stem­berg­er-Brauhaus in Bru­neck blieb für einige Jahre ohne Nach­folge, zumin­d­est find­en sich im Puster­taler Boten keine weit­eren Hin­weise auf Kinovor­führun­gen in Bru­neck. Erst im Som­mer 1913 stellte Hans Pojer/Poyer am „Sauplatz“ oder Rien­z­platz (in der Nähe der Hafnerei Malfer­thein­er) seinen „The­ater-Kino­mato­graph [!]“ auf und lock­te mit Anzeigen im Puster­taler Boten das Pub­likum. Die Zeitung berichtete in der „Wochen-Chronik“:

„Alle zwei Tage kommt ein neues abwech­slungsre­ich­es Pro­gramm zur Auf­führung. Die Vorstel­lun­gen sind gelun­gen, daher sich selbe auch eines guten Besuch­es erfreuen.“[4]

Am 25. Juli 1913 gab der Puster­taler Bote Ein­blick in das Pro­gramm von Pojers Kine­mato­graph:

„Die sehr gelun­genen Kino-Vorstel­lun­gen, im The­ater des Her­rn Hans Pojer am Sauplatz erfreuten sich eines guten Besuch­es. In Vor­bere­itung ist: ‚Aus Tirols Ruhmesta­gen‘, ‚Speck­bach­er‘, ‚Die Schlacht am Kropfs­berg‘ usw.“[5]

Am 1. August 1913 kündigte die Zeitung einen weit­eren Film an: „In Vor­bere­itung ist: ‚Die Draht­lose Telegra­phie.‘ Wir machen Kinobe­such­er aufmerk­sam, daß Herr Pojer nur mehr kurze Zeit hier bleiben und dann nach Sand i.T. über­siedeln wird.“[6] Offen­bar blieb der Unternehmer Bru­neck aber gewogen: 1914 wurde im Puster­taler Boten erst­mals auf das „Stadt-Kino“ im Hotel Tirol (heute Alpin­is­traße Nr. 1), hingewiesen. In der Aus­gabe vom 2. Jän­ner 1914 find­et sich die Infor­ma­tion, „daß das ‚Kino‘ von nun an unter der Fir­ma ‚Edi­son Bio­graph‘, Besitzer Hans Poy­er, weit­erge­führt wird.“[7]

Werbeschal­tung für eine kine­matographis­che Vor­führung in Bozen, 1906. Wikipedia Com­mons. CC BY 4.0.

Mit der Ein­rich­tung dieses ersten fix­en Kinos war Bru­neck rel­a­tiv spät dran. Im his­torischen Tirol gab es seit 1907 in Bozen und Inns­bruck, 1908 in Mer­an und 1909 in Tri­ent erste Kinos mit geeigneten Sälen. In Brix­en eröffnete 1911 Emil Kubicek ein Kino, in Mer­an betrieb der Hote­lier Max Schwei­gl ab 1908 den “The­ater-Kine­matographen” mit 200 Plätzen. 1909 eröffnete ver­mut­lich das “Stern-Kino”, 1911 das „Planken­stein-Kine­matographen-The­ater”.[8]

Filme wur­den nicht nur in Städten gezeigt, in Kaltern etwa wurde bere­its 1911 ein Kino eröffnet.[9] Daneben gab es weit­er­hin die Wan­derki­nos. Als am 21. Juli 1912 am Toblach­er See ein „großes Volks­fest“ stat­tfand, gab es „zur Belus­ti­gung der Besuch­er“ eine Tanzbude, ein Glück­srad, eine „Jux­post“, eine Wahrsagerin, “Cou­plet­sänger”, ein Rar­itätenk­abi­nett und Kon­fet­ti und nicht zulet­zt auch einen Kine­matographen. Die Haup­tat­trak­tion bildete aber „die Schön­heits-Konkur­renz für Damen.“[10]

Während des Ersten Weltkrieges gab es im Bru­neck­er Vere­in­shaus ein Mil­itärki­no mit soge­nan­nten „Sep­a­rat-Kino-Vorstel­lun­gen“, die für Ablenkung vom tris­ten Kriegsall­t­ag sorgten und deren Erlös sozialen Ein­rich­tun­gen wie Spitälern zugute kam. In einem Artikel des Puster­taler Boten vom 20. Juli 1917 heißt es zum Pro­gramm:

„Unter anderen kommt an diesen Aben­den ein 4aktiges Lust­spiel ‚Der Pus­ta-Pri­mas‘, sowie her­rliche Nat­u­rauf­nah­men zur Vorstel­lung. Ein ver­stärk­tes Stre­i­chorch­ester wird an diesen Aben­den für musikalis­chen Genuß sor­gen und sind somit ein paar vergnügte Abende zu erwarten.“[11]

Kurze Mit­teilun­gen im Boten weisen auf das weit­ere Schick­sal des Mil­itärki­nos hin: Im März 1918 wurde der Land­sturm-Verpflegs-Offizial Vic­tor Joksch, der den Betrieb geleit­et hat­te, nach Tri­ent ver­set­zt.[12] Im Juli 1918 gab es eine Wohltätigkeitsver­anstal­tung im „Kinosaale“, deren Ankündi­gung mit ein­er War­nung ver­bun­den wurde: „Mit dem schon arg mitgenomme­nen, einzig zur Ver­fü­gung ste­hen­den, Kino-Klavier wird das Pub­likum gerechte Nach­sicht zu üben wis­sen.“[13]

Nach dem Krieg kaufte ein gewiss­er Adolf Girtler das „Tri­umpf-Kino“ [sic!] im Saal des Vere­in­shaus­es in Bru­neck. Er werde, so warb er im Puster­taler Boten, „stets bemüht sein, das [sic!] P.T. Pub­likum nur durch erstk­las­sige großstädtis­che, abwech­slungsre­iche Pro­gramme recht anziehende Unter­hal­tun­gen zu ver­schaf­fen“.[14] Aus der­sel­ben Aus­gabe der Zeitung erfahren wir auch den Namen des Verkäufers:

„Herr Franz Nones, ein­stiger Kinobe­sitzer hier, hat sich mit Fräulein Marie Rieser, Pri­vate hier, ver­lobt. – Herr Adolf Girtler, Kauf­mann in Sterz­ing und Kinobe­sitzer in Bru­neck, hat sich mit Fräulein Mar­i­an­na Ober­hofer, Pri­vat in Utten­heim ver­mählt.“[15]

Im Jän­ner 1920 teilte die Leitung des Tri­umph-Kinos mit­tels Annonce mit, dass „durch einen ganz neu erfun­de­nen Pro­jek­tions-Spiegel-Appa­rat alle Films [sic!] in deutsch­er Schrift erscheinen“ wür­den, weshalb es gelun­gen sei, „dem P.T. Pub­likum von Bru­neck wiederum eine gute Unter­hal­tung zu ver­schaf­fen.“[16] Das Tri­umph-Kino war das erste kom­merzielle und sesshafte Kino in Bru­neck, das nicht nur mit deutsch­er Unter­titelung, son­dern auch mit Promi­nenz wie „Hen­ny Porten u. Asta Nilsen“ und im wahrsten Sinne des Wortes gewichti­gen Fil­men wie dem „großartige[n] 3000 Meter lange[n] Film ‚Unduld­samkeit‘“ aufwarten kon­nte.[17]

Wie der Hin­weis auf das Stre­i­chorch­ester machen auch das Vorhan­den­sein des Klaviers im Mil­itärki­no und die Notwendigkeit des “Pro­jek­tions-Spiegel-Appa­rat […] in deutsch­er Schrift”, wohl ein­er Art “Lat­er­na mag­i­ca”, mit der die Unter­ti­tel in deutsch­er Sprache auf eine zweite Lein­wand pro­jiziert wur­den, deut­lich, dass in der frühen Kinozeit auch in Bru­neck auss­chließlich Stumm­filme gezeigt wur­den. Der Ton­film kam erst in den frühen 1920er Jahren auf und läutete eine neue Ära ein, die auch der Pro­pa­gan­da völ­lig neue Möglichkeit­en eröffnete und zu einem regel­recht­en Boom des Kinos führte.[18]


Anmerkun­gen

[1] Renate Mumelter/Martin Kauf­mann, Cin­e­ma. Film in Südtirol seit 1945, Bozen 2016, S. 13, 18.
[2] Pusterthaler Bote, 19. Dezem­ber 1898, S. 199.
[3] Als die Bilder Laufen lern­ten. Der Kine­mato­graph der Brüder Lumière, https://www.dpma.de/dpma/veroeffentlichungen/meilensteine/erfindungenmitgeschichten/lumiere/index.html (einge­se­hen am 18. Feb­ru­ar 2025).
[4] Puster­taler Bote, 18. Juli 1913, S. 6.
[5] Puster­taler Bote, 25. Juli 1913, S. 119.
[6] Puster­taler Bote, 1. August 1913, S. 123.
[7] Puster­taler Bote, 2. Jän­ner 1914, S. 3.
[8] Mumelter/Kaufmann, Cin­e­ma, S. 12–14, 18, 49.
[9] Mumelter/Kaufmann, Cin­e­ma, S. 33.
[10] Puster­taler Bote, 12. Juli 1912, S. 4.
[11] Puster­taler Bote, 20. Juli 1918, S. 119.
[12] Puster­taler Bote, 15. März 1918, S. 43.
[13] Puster­taler Bote, 5. Juli 1918, S. 107.
[14] Puster­taler Bote, 24. Okto­ber 1919, S. 32. Zum Stan­dort des Kinos “im Saale des Vere­in­shaus­es” siehe Puster­taler Bote, 19. Sep­tem­ber 1919, S. 10.
[15] Puster­taler Bote, 24. Okto­ber 1919, S. 1.
[16] Puster­taler Bote, 2. Jän­ner 1920, S. 4.
[17] Puster­taler Bote, 2. Jän­ner 1920, S. 4; 16. April 1920, S. 62.
[18] Puster­taler Bote, 16. Dezem­ber 1898, S. 199.

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