Eine Handschrift im Stadtarchiv erlaubt interessante Einblicke in das Tiroler Almwesen der frühen Neuzeit. Das Dokument aus dem 18. Jahrhundert mit dem etwas umständlichen Titel Antzaigung und unterricht, wie man denen gebrauch der Staller Albm gehalten hat, ieztundt halt und hinfiran ohnverrückht halten soll regelt die Nutzung der Staller Alm, die in einem Hochtal zwischen dem Antholzer Tal und Defreggen auf 1950 m Meereshöhe liegt. Die Alm gehört zum Typus der Einzelsiedlung (im Gegensatz zum Almdorf), sie war eine gemischte Alm mit Melk‑, Galt- und Kleinvieh, auf der gesennt wurde. Die Almordnung ist vermutlich die Abschrift einer älteren Ausfertigung, die aus Anlass der Übergabe der Alm an einen neuen Besitzer aufgeschrieben wurde.
Der Besitzer („Almherr“), der seine Wiesen, Kasern (Sennhütten) und Kästen (Vorratsräume, Stadel) über den Sommer verpachtete, legte die Regeln für die Weide von Kühen, Pferden und Ochsen, Schweinen, Ziegen und Schafen fest. Die Bestandsleute hatten die Alm in gutem Zustand zu erhalten und beizutragen, ihren guten Ruf zu erhalten. Das Vieh sollte die Grenzen der Alm nicht überschreiten (diese Grenzen sind genau beschrieben), Holz durfte nur für den Eigenbedarf geschlagen werden. Als Hirten sollten nur gesunde und kräftige Männer angestellt wurden, im Krankheitsfall wurden die Almleute durch den Pfarrer von Antholz mit den Sakramenten versorgt. Festgelegt waren weiters die Regeln für die Schneeflucht, das heisst, dass die Tiere im Fall eines Wintereinbruches an festgelegten Orten im Tal geweidet werden konnten. Der Zins für die Almnutzung war jeweils zu Weihnachten in Geld und Naturalien zu entrichten; die Ordnung enthält eine genaue Aufstellung der zu leistenden Beiträge durch die einzelnen Bauern, deren Vieh auf die Alm aufgetrieben wurde.
Alm- oder Alpenordnungen sind Verschriftlichungen alter Gewohnheitsrechte und Überlieferungen, die Einblicke in das Funktionieren bäuerlichen Lebens und Wirtschaftens erlauben. Sie sind aus der Zeit zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert überliefert. In der Regel handelt es sich um Urkunden auf Pergament, es gab aber immer auch Zweitausfertigungen auf Papier als Gebrauchsexemplare. Anlass für die Niederschrift waren häufig Streitigkeiten oder – wie vermutlich im vorliegenden Fall – Änderungen der Eigentumsverhältnisse. Bemerkenswert an der vorliegenden Almordnung ist, dass darauf hingewiesen wird, dass die Alm aus zwei Schwaighöfen hervorgegangen sei, also aus Gütern, die überwiegend Viehzucht trieben und zu Käsezinsen verpflichtet waren. Sie gibt somit Zeugnis über den Wechsel von der intensiven zur extensiven Bewirtschaftung der Hochweiden. Darüber hinaus vermittelt die Schrift einen Eindruck über den Umgang mit älteren Rechtsdokumenten, die zur Sicherung von Besitzrechten aufbewahrt wurden: […] hat die alten Brief nit verstanden.
Neben den rechtlichen Aspekten sind derartige Dokumente wertvolle Quellen für die Flurnamenforschung, enthalten sie doch zahlreiche Toponyme, d.h. gängige und zum Teil vergessene Bezeichnungen für Berge und Felsformationen, Wiesen, Wälder, Bäche, Brücken und Wege und andere Landschaftsmarken. Im konkreten Fall sind Flurnamen in großer Zahl in der Beschreibung der Grenzen der Staller Alm zu finden.
Bei der Sprache handelt es sich um eine frühneuhochdeutsche Kanzleisprache, die von unserer heutigen Schriftsprache erheblich abweicht. Der Text wirkt durch die Verwendung eines damals gängigen Wortschatzes sowie aufgrund des Fehlens einer normierenden Rechtschreibung und Zeichensetzung in zahlreichen Passagen schwer verständlich, erschließt sich aber zunehmend durch mehrmaliges Lesen. Der Vergleich des Lautbestandes mit der heute noch gesprochenen Mundart kann das Verstehen erleichtern.
Transkription (pdf)
Abbildungen, Text und Transkription: © Stadtarchiv Bruneck.