
Stadtarchiv Bruneck, Serie V (Magistratsakten), Nr. 5 lit. J, fol. 1r‑v. © Stadtarchiv Bruneck.
Im Brunecker Stadtarchiv werden einige auf den ersten Blick recht unscheinbare, abgegriffene und nur mehr schwer lesbare Blätter verwahrt, die gerade in Hinblick auf die Sozialgeschichte des ausgehenden 18. oder beginnenden 19. Jahrhunderts sehr interessant sind. Die Blätter listen nämlich für jeden Tag im Jahr auf, welches Essen den Insassinnen und Insassen des Stadtspitals ausgegeben wurde.
Das Brunecker Stadtspital ist eine Stiftung aus dem 14. Jahrhunderts, die zu dem Zweck eingerichtet wurde, alte und kranke Menschen zu versorgen. 1358 stiftete Heinrich der Stuck mehrere Höfe und Güter in der Umgebung von Bruneck, womit die Existenz des Spitals gesichert wurde. Als auch Konrad der Stuck dem Beispiel folgte, errichtete die Stadt das Spital. Die Gründungsurkunde stammt aus dem Jahr 1375, im gleichen Jahr wurde auch die Spitalkirche erstmals erwähnt. Die größten Wohltäter wurden in der Folge die Angehörigen der Familie Söll, die 1450 ein eigenes Benefizium stifteten. 1611 kam noch das sogenannte Kempter’sche Benefizium dazu. Das Spital, das in der heutigen Stuckstraße beinahe 600 Jahre (bis 1943) seinen Dienst erfüllte, unterlag seit seiner Gründung der Aufsicht des Stadtrates, der den Kirchpropst und den Spitalamtmann, später Spitalmeister genannt, stellte.
Die Auflistungen im Stadtarchiv sind besonders wertvoll, da sie abseits von Finanzierung und Leitung einen Einblick in das alltägliche Funktionieren des Spitals bieten: So erfahren wir etwa, dass am Abend vor dem Neujahrstag gesottene Krapfen mit Mohn gereicht wurden, und am Neujahrstag Knödel mit Kraut. Am Vorabend des Dreikönigtages gab es gebackene Krapfen und am Feiertag selbst einen Braten. Vor dem „Schlenggltag“, dem Tag, an dem die Dienstbotinnen und Dienstboten ihre Dienstgeber wechselten, wurden offene Krapfen mit etwas Mohn und jeweils eine Schüssel Brennsuppe ausgegeben. Nach dem „Schlenggln“ hingegen erhielten die Knechte und Dirnen Wein und Brot. Im Fasching gab es am Sonntag und Montag zu Mittag Knödel, am Abend Gerstensuppe und Fleisch. Am Faschingsdienstag wurde zu Mittag Fleischsuppe mit weißen Brocken, pro Kopf eine halbe Bratwurst, Leber und Brot sowie ein Krug Wein verteilt. Am Ostersonntag gab es zu Mittag „Geweichts“, Fleischsuppe mit „weißen Brocken“ und vier Stücken Fleisch in jedem Teller. Die Spitalsinsassinnen und ‑insassen erhielten jeweils ein „Trinkl“ Wein und zwei große Krapfen, sowie ein Stück Brot. Am Vorabend des Brunecker Kirchtages gab es kurze gebackene Krapfen mit Honig, und den Armen wurde Milch ausgeteilt.
Diese Beispiele illustrieren eine breite Palette von Speisen und zeigen, dass die Ernährung in früheren Zeiten – zumindest in der Stadt – keineswegs eintönig war. Wir erhalten aus den Dokumenten einen detallierten Einblick in die Geschichte des Kochens und Essens, wenn etwa von „Zettelkraut“, „Saurer Suppe“, „gesottenen Krapfen“, „Apostelbrocken“, „Wampe“ und „Lungl“ die Rede ist. Neben den Speisen werden aber auch die Menschen genannt, die im Spital lebten: Katharina „Ohlakerin“, Anna „Oberhueberin“, Katharina Schöpferin, Veit Staudacher, die zwei „Pinter Madlen“, die „Obermösser Töchter“, die „Hoferischen“ Eheleute, die „Untergasser Madlen“, die „alte Plarrer Schmidin“ und die „Rainmösßner Kinder“ fanden sich neben zahlreichen anderen beim Essen ein. Es gab den Bereich der „normalen“ Verpflegung der sogenannten Pfründner, welche die Leistungen der milden Stiftung in Anspruch nahmen, aber auch einen Herrentisch, an dem die „Besseren“ saßen; hier wurde öfter Fleisch serviert.
Es finden sich zahlreiche dialektale bzw. umgangssprachliche Ausdrucksweisen, welche die frühere Sprache lebendig werden lassen. So steht etwa explizit „Henig“ und nicht „Honig“, „Ertag“ und nicht „Dienstag“, „Pfingstag“ und nicht „Donnerstag“. Schließlich erfahren wir einiges über den Aufbau eines Kalenderjahres, das – im Gegensatz zu unserer heutigen Wahrnehmung – vor allem nach den Feiertagen und wichtigen Daten des Arbeitsablaufes gegliedert war. Am Aschermittwoch, so lesen wir, gingen die Dienstboten am Vormittag zur Kirche und mussten nicht arbeiten. Am Mittfast-Sonntag gingen sie mit den Pfründnern zur Osterbeichte und erhielten jeweils etwas Geld für die Opfersammlung. Zum Holzschlagen ging man in der Woche vor Pfingsten, und beim „Schääb machen“ kam man erst am Abend nach Hause. Als Marende für den Holzarbeitern jeweils ein Stück Weißbrot und ein Stück Käse mitgegeben.
Die Blätter im Stadtarchiv erlauben einen spannenden Einblick in das Alltagsleben unserer Vorfahren, eine Momentaufnahme scheinbar nebensächlicher Gewohnheiten in einer sozialen Einrichtung im alten Bruneck. „Der Mensch ist, was er isst“, lautet eine bekannte Aussage des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach (1804–1872), und gerade deshalb lohnt es sich besonders, sich mit derartigen Aufzeichnungen zu beschäftigen.