„In Zeith grasßierender Pestilenz“. Krankenfürsorge und Seuchenmanagement in Bruneck in Mittelalter und früher Neuzeit

Das alte Spi­tal in der Stuck­straße in Bru­neck. Foto: Stadtarchiv.

Im Jahr 1348, als in Europa die Pest wütete, stiftete eine Bru­neck­er Bürg­erin ein­er Brud­er­schaft, die sich um die Krankenpflege küm­merte, drei Mut Roggen und Ger­ste.[1] In der entsprechen­den Urkunde ist zum ersten Mal von einem Spi­tal in Bru­neck die Rede, das errichtet wer­den kön­nte. 1358 stiftete Hein­rich der Stuck dieses Spi­tal als Für­sorgeanstalt für Arme und Kranke.[2] Diese fan­den jet­zt einen Ort vor, wo ihnen ein Schlaf­platz, Verpfle­gung und auch medi­zinis­che Hil­fe ange­boten wurde. 1381 wurde die Kirche zum Hl. Geist gewei­ht, die den Bedürfti­gen auch einen seel­sorg­erischen Anlauf­punkt bot. In der Folge stat­teten mehrere Per­so­n­en durch Stiftun­gen Spi­tal und Kirche finanziell aus. Es gab auch die Möglichkeit, sich in das Spi­tal einzupfrün­den, das heißt, sich durch das Ein­brin­gen eines Legates dauer­haft Unterkun­ft und Pflege zu sich­ern. Ein mit­te­lal­ter­lich­es und früh­neuzeitlich­es Spi­tal entsprach also nicht unbe­d­ingt der Vorstel­lung, die wir heute von einem Kranken­haus haben. Vielmehr ging es um die Armen­ver­sorgung, die Absicherung im Alter, die Verkös­ti­gung und Betreu­ung alle­in­ste­hen­der Men­schen.

In der Stadt waren im 15. und 16. Jahrhun­dert auch die soge­nan­nten Begi­nen oder Begut­ten tätig, eine Gruppe von Betschwest­ern, die sich der Krankenpflege ver­schrieben hat­ten. Darüber hin­aus dien­ten die bei­den Bru­neck­er Bäder, das obere und das untere Bad, dem Wohlbefind­en und der medi­zinis­chen Ver­sorgung der Bevölkerung. Hier kon­nte der Kör­p­er gere­inigt wer­den, neben den Bädern wur­den aber auch ver­schiedene Kuren ange­boten. 1508 stiftete eine Witwe ein soge­nan­ntes Seel-Bad, d.h. die Möglichkeit für arme Leute, jedes Jahr am Mon­tag nach dem Palm­son­ntag kosten­los zu baden und sich mit drei Schröpfköpfen behan­deln zu lassen.[3]

Das Siegel des Spi­tals an ein­er Urkunde aus dem Jahr 1637. Die Umschrift lautet: + S . DES GOTTZHAVS Z[VM] . HEILLIGEN . GEIST . VND . SPITAL . Z . PRAVNNEGG . (Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he Nr. 528. Foto: Stadtarchiv Bru­neck).

Für Men­schen, die schw­er und unheil­bar krank waren, gab es in mit­te­lal­ter­lichen Städten eigene Insti­tu­tio­nen, die soge­nan­nten Siechen- oder Lep­ros­en­häuser. Man wusste, dass an ansteck­enden Krankheit­en – namentlich an der Lep­ra, dem soge­nan­nten Aus­satz – lei­dende Men­schen möglichst von den Gesun­den separi­ert wer­den mussten. Zwar waren die Wege der Ansteck­ung nicht bekan­nt, man glaubte an böse Dämpfe, Säfte und vielle­icht sog­ar Geis­ter. Aus Erfahrung wusste man aber, dass die Krankheit­en bei engem Kon­takt der Betrof­fe­nen stärk­er um sich grif­f­en als bei Iso­la­tion.

Wo genau sich das Bru­neck­er Siechen­haus befand, ist nicht mit Sicher­heit rekon­stru­ier­bar.[4] In einem Kaufver­trag von 1698 ist die Rede von der Straße beim Siechen­haus, „da man nach­er Sanct Geör­gen gehet zu Ausser­ra­gen“.[5] Zum Siechen­haus gehörte ein Garten, über den wir aus ein­er anderen Quelle informiert sind: Der Bru­neck­er Bürg­er Hanns Toldt verord­nete 1583 in seinem Tes­ta­ment, dass sein Kraut­garten „den armen Siechen“ über­lassen wer­den sollte.[6] In ein­er Urkunde aus dem Jahr 1482 ist eben­falls von einem Stück Garten unter­halb des Siechen­haus­es am „Rienczfeld“ zu Bru­neck die Rede.[7] Schließlich wis­sen wir auch, dass das Siechen­haus an einem Gewäss­er lag, da sich daneben eine Müh­le befand.[8] Den früh­esten bekan­nten Hin­weis auf das Siechen­haus find­en wir aber in der Stiftung­surkunde für das Söl­lis­che Bene­fiz­ium im Spi­tal aus dem Jahr 1450, in der „Niklas der Frey­dankh“ erwäh­nt wird, der aus ein­er Müh­le „bey dem Siechen­haus“ Zins zu zahlen hat­te.[9]

„Ansicht der Stadt Bru­neck“. Kupfer­stich von Johann Nepo­muk Tin­khauser. Im Vorder­grund kön­nte als eines der Gebäude an der Rienz das Siechen­haus dargestellt sein. Foto: Wiki­me­dia Com­mons, geme­in­frei.

Als Stan­dort kommt also am ehesten ein Grund­stück an der Straße nach St. Geor­gen in der Nähe der Rienz in Frage. Prinzip­iell befan­den sich Siechen­häuser bevorzugt an den Aus­fall­straßen außer­halb der Städte und auch an Brück­en, wo die Insass/innen die Zölle ein­nehmen und auf diese Weise unkom­pliziert zu Geld kom­men kon­nten[10] – bei­de Kri­te­rien wären im Bru­neck­er Fall erfüllt. Durch den Garten kon­nten sie sich mit Gemüse, Kräutern und Obst ver­sor­gen und waren auch in dieser Hin­sicht weit­ge­hend autonom.

Mit dem Über­gang in pri­vate Hände ver­lor das Bru­neck­er „Siechen­häusl“ seine ursprüngliche Bes­tim­mung. Josef Weißen­stein­er kaufte es 1812 dem städtis­chen Spi­tal­fond ab, 1835 soll darin noch ein Tag­w­erk­er gewohnt haben.[11] Als der Kreishaupt­mann am 28. Sep­tem­ber 1836 anord­nete, dass die Spi­talpfründ­ner im Bedarfs­fall aus dem Spi­tal in das Siechen­haus ver­legt wer­den soll­ten, um im Spi­tal Platz für Epi­demiekranke zu schaf­fen, wurde das Siechen­haus  als “altes Zoll­haus” beze­ich­net. Sobald ein Cholera-Kranker in das Spi­tal einziehe, bleibe nichts anderes übrig, als die Pfründ­ner in das Siechen­haus zu über­siedeln — offen­bar stand das Gebäude zu diesem Zeit­punkt leer. Im Spi­tal kon­nte durch die Auf­sicht des Arztes und die Ver­sorgung mit Medika­menten die Behand­lung der an der soge­nan­nten Brechruhr Erkrank­ten bess­er gewährleis­tet wer­den.[12]

Während das zum Spi­tal gehörende Siechen­haus in Mit­te­lal­ter und früher Neuzeit eine beständi­ge Ein­rich­tung für die Bru­neck­er „Aussätzi­gen“ war, die dort ein Leben in Abgeschieden­heit führten, sah die Stadtregierung für Epi­demien ein anderes Gebäude als Not­spi­tal vor. 1700 verkauften Bürg­er­meis­ter und Rat das Haus, das vorher als Mess­inghütte gedi­ent hat­te (den soge­nan­nten Ansitz Stee­gen[13]), an Jakob Pock. Im Kaufver­trag ist aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass das Gebäude im Fall von „laidige[n] Sucht­en oder Con­ta­gio­nen“ bzw. ein­er „grasßierende[n] Pestilenz“ der Stadt als Lazaret­thaus zur Ver­fü­gung gestellt wer­den musste, damit die „presthafften“ (kranken) und „inficierten“ Per­so­n­en von den Gesun­den abgeson­dert wer­den kön­nten.[14] 1829 ging das Haus an den Fär­ber Josef Schwaighofer über, wobei sich auch dieser verpflicht­en musste, es im Fall ein­er „kontagioße[n] Seuche“ unent­geltlich als Lazarett oder Kranken­haus ver­wen­den zu lassen, falls es „wegen Anstekungs­ge­fahr nöthig fall­en sollte die Kranken zu separi­eren“.[15]

Die Idee, dieses Gebäude als Spi­tal zu ver­wen­den, dürfte erst im aus­ge­hen­den 17. Jahrhun­dert aufgekom­men sein, da sich in Hin­blick auf die Pestepi­demie von 1636 noch keine Hin­weise auf ein der­ar­tiges Vorge­hen find­en. Johann Tin­khauser berichtet in seinen „Geschichtliche[n] Nachricht­en von der k.k. Kreis­stadt Bru­neck und der­sel­ben Umge­bung“ (1834) näm­lich über andere Maß­nah­men zur Abson­derung der ansteck­enden Kranken in der Umge­bung der Stadt:

„Zu Ste­gen und Greyn­walden sön­derte man die Kranken in dem Walde oder der Altung ab, und stellte ihnen auf einen großen Stein, der noch heute das Mit­terkirchl genan­nt wird, die Lebens­mit­tel hin; und noch soll man dort Grab­hügel bemerken.“[16]

„Gesund­heitspass“ für den Schus­ter Bla­sius Egger, 1636. Das Doku­ment bestätigt, dass in der Stadt Bru­neck die „Infec­tion“ nicht aufge­treten sei und der Vor­weis­er des Pass­es somit ohne Ein­schränkung nach Toblach wan­dern könne. Foto: Stadtarchiv Bru­neck.

Ander­norts baute man den Kranken – wie Tin­khauser eben­falls schreibt – pro­vi­sorische Hüt­ten oder isolierte sie in ihren Häusern. Man ver­sorgte sie zwar mit Speisen, brach anson­sten aber jeden Kon­takt zu ihnen ab. In der Stadt Bru­neck selb­st wur­den während dieser Pestepi­demie von 1636 die Stadt­tore streng bewacht, das untere Tor geschlossen. Alle Men­schen, die die Stadt betreten woll­ten, mussten sich in Quar­an­täne begeben. Die Gebäude wur­den mit Wachold­er geräuchert. Alles, was von außen in die Stadt kam, wurde eben­falls geräuchert, das Geld mit Essig gewaschen, der Loren­z­i­markt ent­fiel.[17]

Verblüf­fend ist die Ähn­lichkeit dieser Maß­nah­men mit jenen, die wir in den Jahren der Pan­demie zur Eindäm­mung des Coro­n­avirus anwandten: Man set­zte auf Abstand­hal­ten und Quar­an­täne, ver­mied große Men­schenansamm­lun­gen, ver­suchte zu desin­fizieren, obwohl man von Viren und Bak­te­rien noch nichts wusste. Daneben rief man die heili­gen Nothelfer*innen an, ver­anstal­tete ver­mehrt Bittgänge, Bet­stun­den und Prozes­sio­nen und stellte Denkmäler (Pest­säulen und Pest­bild­stöcke) auf. Auch die „Wet­ter­glock­en“ wur­den geläutet – eine Tra­di­tion, die in der Bru­neck­er Rainkirche im Früh­jahr 2020 wieder aktiviert wurde. Die „Kathreine­glocke“ wurde bis zu Ostern jeden Tag geläutet, um „zum Zusam­men­halt aufzu­rufen und den Men­schen Mut zu machen“, wie Bürg­er­meis­ter Roland Griess­mair betonte.


[1] Hubert Stem­berg­er (Bearb.), J.N. Tinkhauser’s Bru­neck­er Chronik 1834. „Geschichtliche Nachricht­en von der k.k. Kreis­stadt Bru­neck und der­sel­ben Umge­bung“. Mit 147 Fak­sim­i­le-Farb­druck­en nach den Vor­la­gen des Ver­fassers, Bozen 1981, S. 61.

[2] Stadtarchiv Bru­neck, Urkun­den­rei­he, Nr. 23.

[3] Stadtarchiv Bru­neck, Bru­neck­er Bestand, Serie V, Nr. 2.

[4] Obwohl Johann Nepo­muk Tin­khauser das Spi­tal auch immer wieder mit seinen Insass/innen, den „Siechen“ in Verbindung bringt, han­delte es sich beim Siechen­haus um eine eigene Ein­rich­tung. „Bürg­er­spi­tal“ und „Spi­tal Siechen­haus“ sind in Tin­khausers Auf­stel­lung zwei unter­schiedliche Haus­num­mern zugewiesen (155 und 162). Tin­khauser, Chronik, S. 234f.

[5] Stadtarchiv Bru­neck, Bozn­er Bestand, Serie XLIV.

[6] Vidimierte Abschrift eines Kaufver­trages de dato 1698 Feb­ru­ar 22, dat. 1698 März 12, bezüglich u.a. eines Kraut­gartens, der dem Spi­tal von Han­nß Told 1583 tes­ta­men­tarisch ver­ma­cht wor­den war. Stadtarchiv Bru­neck, Bozn­er Bestand, Serie XLIV.

[7] Eri­ka Kus­tatsch­er (Bearb.), Die Urkun­den des Archivs Künigl-Ehren­burg (1234–1550) (Veröf­fentlichun­gen des Südtirol­er Lan­desarchivs Bd. 4 Teil 1), Inns­bruck 1996, S. 410: Urkunde dat. 1482 Okto­ber 15, Kun­rad Schér­re­ich, Bürg­er zu Kauff­pewren, verkauft an Gabein Kúnigll von Ern­burg, Pfleger auf Schón­negk, unter anderem die Bau­recht eines Stück­es Garten unter­halb des Siechen­haus­es am Rienczfeld zu Bru­neck (angren­zend an einen Ack­er der Gem. des Ypphofer zu Inspruck, an einen Ack­er des Sig­mund Sell zu Bru­neck, an einen von Frey­dan­gk Peck her­rühren­den Ack­er und vnten gegen dem wass­er genant die Riencz auf den gemainen Gries.

[8] Dekret des Brixn­er Hofrates für den Amt­mann zu Bru­neck dat. 1655 Novem­ber 13 (Abschrift), in: Stadtarchiv Bru­neck, Bozn­er Bestand, Serie L, Fasz. 3.

[9] Zit. nach: Tin­khauser, Chronik, S. 77. Franz-Heinz Hye gibt noch einen Hin­weis auf eine frühere Erwäh­nung, nen­nt aber keinen Beleg: Franz-Heinz Hye, Die Städte Tirols 2. Teil: Südtirol (Schlern-Schriften 313), Inns­bruck 2001, S. 206.

[10] Vgl. Armand Baeriswyl, Das „Siechen­haus“ von Burgdorf in der Schweiz – ein spät­go­tis­ches Lep­roso­ri­um und seine Baugeschichte, in: Regierung­spräsidum Stuttgart / Lan­desamt für Denkmalpflege / Arbeit­skreis für Haus­forschung, Region­al­gruppe Baden-Würt­tem­berg (Hg.), Süd­west­deutsche Beiträge zur his­torischen Bau­forschung, Bd. 8: Städtis­che Spi­tal­baut­en in Süd­west­deutsch­land aus der Sicht der Haus­forschung. Tagung in Ravens­burg am 30. April 2004, Esslin­gen 2009, S. 209–218, hier S. 210.

[11] Paul Tschurtschen­thaler, Bru­neck­er Heimat­buch, Bozen 1928, S. 59; Tin­khauser, Chronik, S. 235.

[12] Kreishaupt­mann Kern an das k.k. Land- und Krim­i­nal-Unter­suchungs-Gericht Bru­neck, Bru­neck 1836 Sep­tem­ber 28 (Abschrift), in: Stadtarchiv Bru­neck, Bru­neck­er Bestand, Serie V, Nr. 26.

[13] Vgl. Clau­dia Plaikn­er, Die Ansitze im Raum Bru­neck, Diss. phil., Inns­bruck 1994, Band I, S. 506–534.

[14] Bürg­er­meis­ter und Rat der Stadt Brunegg verkaufen an Jacob Pockh, Fär­ber und Inwohn­er, vor­be­haltlich der Grund­herrschaft um 900 fl und 3 Taler Leitkauf die Bau­recht und Gerechtigkeit ain­er Behausung alwo vorhero die Schmölzhit­ten gewest neben der alda selb­sten ligen­den wißen und Pul­ver­stämpfl, alles bei einan­der negst am Rien­z­pach Stadt­gerichts Brunegg. 1700 April 26. Stadtarchiv Bru­neck, Bru­neck­er Bestand, Serie V, Nr. 2.

[15] Auf Ver­lan­gen des Stadt­mag­is­trates erk­lärt Joseph Schwaick­hofer, die auf dem Gebäude Nr. 175 liegende Verpflich­tung laut Kaufver­trag von 1700 April 26 einzuhal­ten, Brunck 1829 Okto­ber 24. Ebd.

[16] Tin­khauser, Chronik, 129.

[17] Ebd., 130.

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