Ein Hauch von weiter Welt: Wandernde Menagerien zu Gast in Bruneck von Andreas Oberhofer

Ankündi­gung der Menagerie des Thad­däus Kull­mann, 1871. Foto: Stadtarchiv Bru­neck.

Im Juni 1871 zirkulierte in Bru­neck ein gedruck­tes Ver­anstal­tung­spro­gramm, das Spek­takuläres ankündigte: Eine „Samm­lung wilder gebändigter Thiere, dres­sirt von ein­er jun­gen Dame, welche mit Löwen und Hyä­nen in einem Käfig manövrirt“. Thad­däus Kull­mann, der seine Tiere bere­its in Brix­en zur Schau gestellt hat­te, präzisierte in einem Brief an den Bru­neck­er Bürg­er­meis­ter Johann von Zieglauer sein Ange­bot: „Die Menagerie beste­ht aus 2 Löwen, die schön­sten Exem­plare welche gezeigt wer­den, und 3 Wägen Thire ver­schieden­er Gat­tung, wo ein Riesen­bär eben­so der Siel­ber­mann aus Afri­ka die beson­der­ste Aufmerk­samkeit ver­di­ent.“ Mit „Sil­ber­mann“ war der im Pro­gramm erwäh­nte „Wald­men­sch“, also ein Men­schenaffe, gemeint.

Eine Annonce im Pusterthaler Boten vom 23. Juni 1871 hob her­vor, dass dieser Affe „in der Heimath aufrecht gehend sich mit Stock und Stein ver­thei­digt etc.“

Der Begriff „Menagerie“ beze­ich­nete ursprünglich die höfis­che Tier­hal­tung und somit eine Vor­läufer­form des zool­o­gis­chen Gartens. Aus den höfis­chen Menage­rien entwick­el­ten sich die soge­nan­nten Wan­der­me­nage­rien, die durchs Land zogen, auf Jahrmärk­ten gastierten und exo­tis­che, zum Teil auch ein­heimis­che Wildtiere zur Schau stell­ten: Zum Reper­toire von Kullmann’s Menagerie gehörte ein „Königs-Adler aus den Tyrol­er Alpen, sehr gefährlich für Kinder.“ Während der Anwe­sen­heit in der Stadt wur­den, wie das Pro­gramm verkün­det, auch „fortwährend Affen und Vögel“ eingekauft und verkauft.

Menage­rien waren in Bru­neck immer wieder zu Gast, wovon neben den erhal­te­nen Pro­gram­mzetteln Artikel und Inser­ate in den Zeitun­gen der Zeit, namentlich im Pusterthaler Boten, Zeug­nis geben. Eine frühe Ankündi­gung aus dem März 1858 ist noch sehr kurz gehal­ten: „Mor­gen und die näch­sten Tage ist hier eine Abtheilung der bekan­nten Kreuzberg’schen Menagerie auf dem Platze neben der neuen Post zu sehen.“

In der Folge wur­den die Ankündi­gun­gen aus­führlich­er und anschaulich­er: Im Mai 1865 machte eine Menagerie in Bru­neck Sta­tion, bei welch­er ein Löwe, ein Jaguar, ein Pan­ther, eine Hyäne, ein „Edel- oder Arus-Hirsch aus der Insel Java“ und andere Raubtiere vorge­führt wur­den. Im August 1877 gab es eine „Große Menagerie“ beim Adler­garten, die „einen afrikanis­chen Ele­phanten, fern­er eine große Anzahl von Raubthieren, lauter Prach­tex­em­plare, Vögel vom Strauß herab bis zu Papageien, auch Affen und Schlangen“ zur Schau stellte. Auch in diesem Fall wurde eigens darauf hingewiesen, dass Affen und Vögel verkauft und angekauft wür­den.

Im März 1895 war Berg’s Menagerie zu Gast und der Pusterthaler Bote ver­meldete, in Bru­neck wäre „noch keine so große Menagerie gewe­sen“. Im Okto­ber 1898 traf „nachts aus Lienz kom­mend mit­tels Sep­a­ratzug“ Kludsky’s Menagerie in Bru­neck ein und wurde auf der Wiese zwis­chen dem Hotel Bru­neck und dem Mag­is­trats­ge­bäude (der heuti­gen Mit­telschule Meus­burg­er) aufgestellt. Der Pusterthaler Bote ver­meldete neuer­lich einen Superla­tiv: „In Bru­neck war noch keine so große Menagerie mit so vie­len Thieren (über 150 Stück), darunter wahre Prach­tex­em­plare von Löwen, Tieger u.s.w. zu sehen. Wir kön­nen den Besuch der­sel­ben Jed­er­mann nur bestens empfehlen.“ In der­sel­ben Aus­gabe der Zeitung ist auch eine Anzeige abge­druckt, die Kludsky’s Tier­schau als größte ihrer Art in Europa bewarb und beson­ders auf einen „Riesen-Ele­fant“ hin­wies, der ange­blich 110 Jahre alt war. Zu sehen gab es neben den Löwen und Tigern auch Pan­ther, Eis­bären, ein Zebra und andere exo­tis­che Tiere.

Durch die Zeitungsar­tikel gewin­nen wir Ein­blick in das Funk­tion­ieren des fahren­den Gewerbes der Wan­der­me­nagerie. Aus einem Bericht über den Besuch der Madame Witwe Otto aus Dres­den im Mai 1865 etwa geht her­vor, dass diese im Rah­men eines Jahrmark­tes in Bru­neck gastierte. Es gab eine „Bude“, in der sich am Mark­t­tag zahlre­iche Men­schen drängten, unter die sich auch Taschendiebe mis­cht­en. Der Artikel gibt zudem Auskun­ft über die Reis­eroute der Menagerie, die in Kuf­stein, Inns­bruck, Sterz­ing und Brix­en zu Gast gewe­sen war und von Bru­neck nach Lienz, Spit­tal an der Drau, Vil­lach, Kla­gen­furt, Mar­burg und Graz weit­er­zog.

An ander­er Stelle erfahren wir, dass eine Menagerie im Jahr 1885 eben­falls anlässlich eines Mark­tes, näm­lich des Son­newend­mark­tes im Juni, in Bru­neck ihr Lager auf­schlug. Neben der Tier­schau gab es hier auch einen „Cir­cus“. Im Okto­ber 1910 bot die bere­its mit Bru­neck ver­traute Menagerie Klud­sky zeit­gle­ich mit dem Ste­gen­er Markt ihre Ver­anstal­tun­gen an, die mit 20 Wagen ein­traf und hin­ter der Sternkaserne, d.h. im soge­nan­nten Stern­garten hin­ter dem heuti­gen Michael-Pach­er-Haus aufgestellt wurde.

In den Menage­rien fan­den am Nach­mit­tag und am Abend Vor­führun­gen und die öffentlichen Füt­terun­gen statt, denen man nach Bezahlung von Ein­tritts­geld bei­wohnen kon­nte. Thad­däus Kull­mann stellte 1871 für „Lehrkör­p­er mit Schülern und Insti­tute mit Zöglin­gen“ eine angemessene Ermäßi­gung der Ein­trittspreise in Aus­sicht. Ein Hin­weis aus dem Tirol­er Volks­blatt von 1895 bestätigt, dass den Menage­rien päd­a­gogis­ch­er Wert beigemessen wurde: Die Pro­duk­tio­nen der Madame Nouma Hava und des Direk­tors Buch­er etwa wür­den „eine von jedem mark­tschreierischen oder unde­cen­ten Wesen weit ent­fer­nte Ruhe und vornehme Ele­ganz der Bewe­gun­gen verbinden“, weshalb es sich anbi­ete, „daß möglichst auch den Schulen Gele­gen­heit zum belehren­den Besuche dieser prächti­gen Thier­samm­lung geboten würde.“

In den Zeitun­gen des frühen 20. Jahrhun­derts wer­den die Hin­weise auf fahrende Menage­rien sel­tener. Eine späte Ankündi­gung find­et sich im Puster­taler Boten vom 4. Juli 1924: „Der große Zirkus Coßmy mit Menagerie trifft heute Don­ner­stag hier ein und wird mor­gen Fre­itag am Viehmark­t­platze mit den Vorstel­lun­gen begin­nen.“

Es kann am Aufkom­men des Tier­schutzgedankens liegen, dass die Menage­rien aus der Mode kamen. Nicht nur die Reises­tra­pazen, son­dern auch enge und nicht aus­re­ichend gewartete Käfige und Gehege waren ein Prob­lem. In den Zeitun­gen find­en sich Berichte über aus Menage­rien ent­laufene Wildtiere, die ihr Unwe­sen trieben. Zudem gab es immer wieder auch schwere Unfälle: 1888 etwa wurde während ein­er Vor­führung eine Tier­bändi­gerin in Kludky’s Wan­der­me­nagerie von einem Königstiger ange­grif­f­en und getötet. 1898 steck­te ein Fleis­chhauer einem Ele­fan­ten eine bren­nende Zigarette in den Rüs­sel, worauf das Tier den Mann in die Höhe hob und mit voller Kraft zu Boden schleud­erte. Im Fasching 1906 wartete man in Sand in Taufers verge­blich auf die Ankun­ft ein­er Menagerie mit Tieren aus Ameri­ka. Diese hat­te, wie später bekan­nt wurde, „bei einem Sturme auf dem Meere Schiff­bruch gelit­ten.“

Im 19. Jahrhun­dert etablierte sich das Konzept des zool­o­gis­chen Gartens und Tiere kon­nten jet­zt unter besseren Bedin­gun­gen gehal­ten und den inter­essierten Besucherin­nen und Besuch­ern zur Schau gestellt wer­den. Tier­parks gab es allerd­ings nur in großen Städten, weshalb sich eine andere Branche des fahren­den Gewerbes darum bemühte, auch den Men­schen auf dem Land exo­tis­che Tiere nahezubrin­gen: Eine let­zte Spur der fahren­den Menage­rien ist im Wan­derzirkus erhal­ten geblieben, bei dem bis heute Tiere neben Artist/innen, Musikant/innen und Clowns zur Unter­hal­tung beitra­gen.


Dieser Text wurde zuerst veröf­fentlicht in: Info Seniores Mai 2021, S. 12–13.

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